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Zivilrecht: 2022: Neues Jahr, neue Beweislastverteilung in der Gewährleistung

Neues Gewährleistungsrecht

Als Rechtsanwalt für Zivilrecht und Strafrecht gehören gewährleistungsrechtliche Streitigkeiten – vor allem etwa in Verbindung mit Kraftfahrzeugen und auch Onlinebestellungen– zum Alltag.

Ab 01.01.2022 gilt das lange anwendbar gewesene Gewährleistungsrecht zum Teil als reformiert und ist die österreichische Gesetzeslage an die europäische Rechtsordnung angeglichen worden; insgesamt zum Vorteil für den Konsumenten bzw. Verbraucher.

Prinzipiell hat derjenige, der einem anderen eine Sache gegen Entgelt überlässt, Gewähr zu leisten, dass sie dem Vertrag entspricht, wobei der Übergeber bzw. Verkäufer in erster Linie für die bedungenen sowie für die im Verkehr gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften, jedoch auch für die Übereinstimmung der Kaufsache mit einer Beschreibung, einer Probe, einem Muster oder aber einer öffentlichen Äußerung des Herstellers bzw. Übergebers (beispielsweise für Werbeaussagen) haftet. 

(Abgesehen von Sachmängeln haftet der Übergeber – wenngleich in der Praxis seltener – auch für Rechtsmängel; ein solcher liegt etwa vor, wenn der Veräußerer dem Erwerber nicht die rechtliche Position verschafft, die er ihm nach dem Vertrag verschaffen muss. Dies würde aber den Rahmen dieses Blog-Beitrages sprengen).

Gemäß § 932 ABGB bzw. nun auch § 12 VGG hat der Übernehmer bei Vorliegen eines Mangels primär den Anspruch auf Verbesserung oder Austausch der mangelhaften Sache (man spricht hier von den „primären Gewährleistungsbehelfen“), wobei ihm zwischen diesen beiden Gewährleistungsbehelfen prinzipiell das Wahlrecht zusteht. Der Übergeber soll dadurch eine weitere Chance erhalten, den vertraglich bedungenen Zustand herzustellen.

Nur in den Fällen, wonach eine Verbesserung oder ein Austausch unmöglich ist, mit unverhältnismäßigem Aufwand für den Übergeber oder erheblichen Unannehmlichkeiten für den Übernehmer verbunden ist, der Übergeber mit den primären Gewährleistungsbehelfen in Verzug ist oder diese gar verweigert oder aber ein Verbesserung/ ein Austausch aus triftigen, beim Übergeber liegenden Gründen unzumutbar ist, ist eine Preisminderung oder – wenn der Mangel nicht geringfügig ist – die Wandlung bzw. Vertragsauflösung möglich; Preisminderung und Vertragsauflösung sind die „sekundären Gewährleistungsbehelfe“.

An diesem System hat sich prinzipiell nichts geändert.

Ein in diesem Kontext beliebter Zankapfel ist jedoch die Frage, ob der Mangel bereits bei Übergabe vorhanden war, oder ob er erst nach dem Zeitpunkt der Übergabe eingetreten bzw. hervorgekommen ist.

Das mit 01.01.2022 in Kraft getretene Verbrauchergewährleistungsgesetz (VGG) sieht nunmehr bei Verbrauchergeschäften vor, dass in dem Fall, dass der Mangel in den ersten zwölf Monaten nach Übergabe hervorkommt, vermutet wird, dass dieser schon im Zeitpunkt der Übergabe vorhanden war. Diese Vermutungsfrist wird im Anwendungsbereich des VGG sohin von sechs Monaten auf zwölf Monate verlängert, was im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung für den Käufer einer beweglichen Sache einen ungeheuren Vorteil in der Beweislastverteilung bedeutet.

Mit diesem legistischen Vorhaben wollte der Gesetzgeber unzweifelhaft die Rechte der Konsumenten stärken. Auf der anderen Seite bedeutet dieser Schritt jedoch einen rechtlichen Nachteil bzw. die Perpetuierung einer rechtlichen Unsicherheit aufseiten des Verkäufers, welcher dieses neue Risiko wohl in den vereinbarten Kaufpreis einer Ware „einpreisen“ wird, sohin es sich meines Erachtens hierbei insgesamt wohl nur um einen „Pyrrhussieg“ für die Käuferseite handelt. Der Käufer wird sich sohin seine neuen Rechte miterkaufen müssen.

Die neue Rechtslage gemäß VGG gilt für Kaufverträge über bewegliche Sachen, die ab dem 01.01.2022 zwischen Verbraucher und Unternehmer abgeschlossen werden; für die „Altverträge“, Geschäften zwischen zwei Verbrauchern und bei Unternehmensgeschäfte gelten weiterhin die bisherigen Bestimmungen des ABGB.

Weitere Neuheiten der Reform des Gewährleistungsrechts sind die Anwendbarkeit auf digitale Leistungen, der Umstand, dass sekundäre Gewährleistungsbehelfe auch außergerichtlich geltend gemacht werden können, die Verlängerung der zweijährige Gewährleistungsfrist sowie die „Update-Pflicht“ bei digitalen Leistungen.

Zumal Zivilrecht bzw. Prozessrecht (neben Strafrecht) zu meinen Interessens- und Spezialgebieten zählt, sehe ich der Anwendbarkeit der neu eingeführten Bestimmungen in der anwaltlichen Praxis mit Interesse und Spannung entgegen.

2022: Neues Jahr, neue Beweislastverteilung in der Gewährleistung.

Einen erfolgreichen Start ins neue Jahr!

Mag. Robert Rieger, Rechtsanwalt für Zivilrecht

Nützliche Links:

https://www.wko.at/service/wirtschaftsrecht-gewerberecht/vgg-uebersicht-gewaehrleistung-warenkauf-ab-2022.html

https://www.oesterreich.gv.at/Gesetzliche-Neuerungen/Bundesgesetzblatt/verbrauchergewaehrleistungsgesetz.html

https://verbraucherrecht.at/gewaehrleistung-neuerungen-ab-2022/5877

Mag. Robert Rieger

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